„Atmender Feuerbaum“

Universität Regensburg, Germany

2002

Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath

„Atmender Feuerbaum“, Universitätskapelle Regensburg, 2002
"Raum und Zeit" von Prof. Dr. Christoph Dohmen

Menschliches Leben ist gebunden an Raum und Zeit. Das Lebendige geschieht in der Gegenwart, die wir üblicherweise als eine Dimension der Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft ansehen. Aber die Zeit steht nie still, sie kennt nur das Geschehene und das Künftige. Der Punkt dazwischen entflieht dem Betrachter, der ihn festhalten will, vom gerade noch Möglichen zum jetzt schon Gewesenen. Gegenwart ist nur in der Kategorie des Raumes zu fassen, aber präsent ist uns sie uns in der Begegnung am selben Ort, wahrnehmbar durch das Kommen und Gehen. Die Bibel hat das kaum Fassbare des Lebendigen immer wieder im Bild vom Hauch, vom Atem, vom Geist Ausdruck verliehen.
Um diese Lebendigkeit zu erspüren brauchen wir Menschen Hilfe, die das Unsichtbare sichtbar, das Flüchtige (be-) greifbar macht. Eine solche Hilfe beim Erspüren des Lebendigen kann und soll uns durch den Künstler Klaus Illi gegeben werden. Die Überlegungen zu Sinn und Ziel, Möglichkeiten und Grenzen eines „heiligen Raumes“ in einer modernen Universität ließen an ihn denken, weil er mit vielen seiner Arbeiten Lebensbedingungen des Menschen auslotet und dabei nicht selten Räume als Lebensräume erschließt. Es ging und geht nicht um ein wenig „Kunst am Bau“ und auch nicht um ein Kunstwerk für die neue Uni-Kapelle, sondern um ein Er-Leben des Raumes, um das Leben in diesem Raum.
Klaus Illi ist mit seinen Installationen dem Lebendigen auf der Spur. Neben „pneumatischen Installationen“, die elementare Lebensbedingungen thematisieren – wie „Ich atme, also bin ich“ (1998), gibt es solche, die das menschliche Leben im Raum sichtbar machen, so bei der Installation „Ruach“ (2000) im Raum einer ehemaligen Synagoge, wo große rote Atemscheiben an der Leerstelle stehen, die den früheren Toraschrein als Lebensmittelpunkt der Synagoge markiert, oder „Atemwege“ in St. Severi in Erfurt (2000), wo ein transparenter Schlauch aus dem „Heilig-Geist-Loch“, aus dem man früher zu Pfingsten eine Taube herabließ, Luft holt, um sie als Atem-Luft sichtbar werden zu lassen.

Klaus Illi betrachtet seine Installationen gerne als „Raumbefragung“, als eine Art „künstlerischer Untersuchung“, die dem Betrachter in das Fragestellen hineinzieht und ihn selbst in Frage stellt.
Die bildende Kunst kommt bei Klaus Illi der Musik insofern nahe, als die Luft zum entscheidenden Material seiner Gestaltung wird. Und wie die Töne der Musik, die uns über die Schwingungen der Luft erreichen, zeitabhängig und vergänglich sind, weil sie kommen und gehen (müssen), so stehen auch Illi’s „Raumbefragungen“ in der vergänglichen Bewegung des Lebendigen und damit unter dem Diktat der Zeit.
Als lebendiges Wesen braucht der Mensch einen ebenso lebendigen Lebensraum. Am Anfang, so erzählt die Bibel, hat Gott nicht nur dem „Erdling“, dem Adam, wie er hebräisch heißt, seinen Atem, Geist, eingehaucht, so dass er zum lebendigen Wesen wurde, sondern er gestaltete ihm auch einen Raum zum Leben. Gott pflanzte einen Baumgarten an. Dieser Lebensraum, den wir traditionell gerne Paradies nennen, markiert Ursprung und Ziel menschlicher Existenz. Im Garten kommt der Mensch zu seinem Wesen, das dem Garten selbst insofern entspricht, als dieser wesenhaft in der Verbindung von Natur und Kultur besteht. Ein Garten ist nie pure Natur, sondern immer von Menschen gestaltete und vor allem abgegrenzte, was das Wort „Garten“ (= umzäunter Besitz) anzeigt. Der Mensch ist auch nicht natürlich, er ist von Natur aus halb, wie der Philosoph Helmuth Plessner sagt, erst durch „Künstlichkeit“ (Kultur) kann er ganz werden und mit sich und der Welt ins Gleichgewicht kommen, weil der Mensch nicht die Instinktsicherheit der Tiere besitzt. Das Wesen des Menschen besteht in „natürlicher Künstlichkeit“. Die biblische Gartengeschichte spricht von einem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, der den Menschen erkennen lässt, was er ist, nämlich ein Wesen, das „kreativ“ sein Leben gestalten muss und darin dem Schöpfer (Kreator) ähnlich ist. Die Gottähnlichkeit des Menschen, die am besonderen Baum im Paradies erkannt wird, bringt den Menschen geradezu in eine besondere Nähe zu Gott.
Die Ungewissheit des Kommenden, das Erhoffte einer anderen Welt nach dem Tod versucht die jüdisch-christliche Tradition bezeichnenderweise im Bild des Ursprungs, nämlich von jenem Paradies auszudrücken.

Ganz anders begegnet es Israel auf seinem Weg aus der ägyptischen Knechtschaft. Das Volk erfährt Gottes Nähe im entscheidenden Moment in der Unfassbarkeit einer Feuersäule – bewegendes Licht, das die Anwesenheit des „ICH-BIN-DA“ erkennbar werden lässt, aber doch nicht begreifbar. Das Licht des mitgehenden Feuerscheins hält auf Distanz, warnt vor Vereinnahmung, wie ein Leuchtfeuer, das an gefährlichen Stellen im Meer zum Abstandhalten auffordert. Warnendes Leuchtfeuer zieht auch Mose beim brennenden und nicht verbrennenden Busch an, ohne dass er dort eine heilige Stätte erkennen konnte, doch indem Gott ihn anspricht, wird der unscheinbare Ort zum „heiligen Ort“, zum Ort der Begegnung.
Begegnung mit dem Anderen – in der Spannung zwischen angestrebter Nähe und notwendiger Distanz – geschieht immer an einer Grenze. Der Raum, der von Natur her ausgegrenzte und ausgrenzende, schafft die Voraussetzung zur Begegnung. Raum verbindet indem er die drinnen als Einheit zusammenhält. In einem Raum versammelt leben und er-leben wir Gegenwart.
Der Feuerbaum hier in der Mitte, eine „Kunst-Pflanze“, atmet dieselbe Luft, die wir atmen. Er braucht die Luft wie das Feuer den Sauerstoff, ohne den es zu Ende geht, ja der Feuerbaum atmet die Luft, die wir ausatmen und wächst durch sie. Die in den Raum gesprochenen Worte und gesungenen Töne bewegen ihn. Und wir atmen die Luft, die er ausatmet, wir spüren die Luft seines Lebens. Er lässt uns spüren, dass hier ein neuer Lebensraum ist. Er markiert eine Stelle im Alltag, die ausgegrenzt, die anders ist. Eine Gegenwelt, ein Paradies, mitten in der Welt des Geistes?

Katalog "Pflanzenatem", Fellbach 2003, darin "Raum und Zeit", S. 60, 61

© Christoph Dohmen