Installation im Rahmen der Ausstellung

„Joystickduett und Katharsismaschine“

Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen, Germany

2002

Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath

Pflanzenatem

Dr. Markus Wimmer, München

 

Stehend wachsen grüne Zickzackröhren empor. Wackelig, hurtig oder gemächlich strecken sich die Stängel in den Raum, um dann wieder zu schrumpfen oder zusammenzufallen, um anschließend wieder emporzuwachsen, aufzuatmen, sich wieder einzuformen, erneut aufzubrechen. Zu den wie Marionetten auf- und abatmenden Pflanzenstängel gesellen sich leuchtend orangerote, an Lampionblumen erinnernde Fruchtstände, welche sich blasebalgartig weiten, prall ausdehnen, sich zusammenziehen und schließlich flach auf den Boden sinken. Die Installation wirkt wie eine überdimensionierte phantastische Skulpturenwiese, ein ständiges, blasendes Auf und Ab, ein Pulsieren bunter Röhren und Bälle.

Die Stängel sind analog zur Zellstruktur in Zickzack- oder Balgform abstrahiert und erinnern an Konstantin Brancusis „Endlose Säule“ für das Mahnmal in Tirgu Jiu (1937/38). Sie verkörpern ähnlich wie Brancusis Skulptur das dem Licht, dem Universum Emporwachsende. Sie tragen nichts, keine Blätter, keine Blüten und Früchte. Hierin gleichen die Stängel dem Prinzip der Säule. In der Analyse der Säule eines gotischen Gewölbes wetteifern zwei scheinbar paradoxe Lesarten: Die vom Boden Aufwachsende und die sich vom Himmel Herabneigende. Die Poesie des kinetischen Skulpturenfeldes konzentriert sich auf den wechselnden Rhythmus von Werden und Vergehen, von Wachsen und Absterben, von Ausdehnen und Zusammenziehen analog zur zyklischen Bewegung des Makrokosmos. Wachsen und Neigen stehen synonym für Immanenz und Transzendenz.

Zarte Fallschirmhaut und die durch Ventilatoren kanalisierte Raumluft bilden das Material der Kunstpflanzen. Eine sekundäre, phantastische Welt simuliert und vermenschlicht die Pflanze als atmende Form, deren Struktur fragil und knochenlos ist. Das surrende und summende Blasen der Ventilatoren steht für den Energieaustausch, den die Pflanze als Lebensgrundlage für den Menschen auf der Erde leistet. Ein ökologischer Zusammenhang zwischen den durch die Skulpturenwiese schlendernden Betrachter und den abstrahierten Pflanzen ist intendiert. Die formale Isolation in vertikale Stängel und liegende Früchte weist die zwei dem Menschen dienenden Funktionen der Pflanzen aus: Das Emporwachsen zum Licht, um Sauerstoff zu produzieren und die Hervorbringung der Frucht, welche auf dem Boden liegt, ein Geschenk der Erde. Der Lufthauch, welcher beim Zusammensinken die plastische Hülle verlässt, wird vom Betrachter gespürt als zartes Ausatmen, Verströmen, Verschenken.

Klaus Illi fasst das so zusammen: „Insofern thematisieren die atmenden bzw. beatmeten Pflanzenformen biologische Rhythmen und Zyklen, welche die scheinbar paradoxen Polaritäten von Werden und Vergehen, Licht und Dunkel, Innen und Außen, Sichtbares und Unsichtbares in einem raum-zeitlichen Prozess des Luftaustauschs verbinden.“ In der Choreografie des rhythmischen Auf und Ab abstrahierter atmender Pflanzenskulpturen inszenieren Bürkle und Illi das zyklische Grundprinzip des Kosmos von Ausdehnung und Verinnerlichung.

 

Katalogtext "Joystickduett und Katharsismaschine",Edition Braus, Heidelberg 2002, S. 10, 11

 

© Dr. Markus Wimmer