"Frühlings Erwachen"

Bausparkasse Schwäbisch Hall, Germany

2004

Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath

Eröffnung / Opening

Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath
Pflanzenatem / Plantbreath

Dr. Gabriele Holthuis

Auszüge aus der Eröffnungsrede Bausparkasse Schwäbisch-Hall, 2004

 

…weder die Farben noch die Formen machen sich die Mühe einer wiedererkennbaren, naturalistischen Annäherung.

Im Gegenteil: jeglicher Naturbezug scheint in weite Ferne gerückt. Dazu gehört vor allem das ganz andere… Größenverhältnis zum Menschen, … zum Raum. Die Größe der ausgestellten Naturwelt von Bettina Bürkle und Klaus Illi erinnert an die Popkultur der 60iger Jahre, in der Alltagsgegenstände betont künstlich aufgeblasen und vergrößert wurden, um ihre sonst eher untergeordnete Bedeutung aufzuwerten…

Denken Sie zum Beispiel an die übergroßen Lippenstifte oder Schreibmaschinen.

Hier auf die Naturvorbilder bezogen, wirken die runden und kantigen, organischen und geometrischen Röhren, Säulen, Kugeln und Ballons wie schematisierte Bilderbuch-Illustrationen und scheinen mit der Wirklichkeit ganz bewusst nichts zu tun zu haben zu wollen.

Allerdings gibt es eine kleine Unstimmigkeit in meiner Theorie, denn die Stelen und Stängel und Fruchtdolden haben etwas Außergewöhnliches an sich, was sie sicher wieder mehr in die Nähe von Naturphänomene bringt: die Bewegung.

Die Objekte nämlich atmen ein und atmen aus. Sie blähen sich auf und sie sinken in sich zusammen. Und das macht sie lebendig, lebendig wie lebende Kreaturen, denn dieses Atmen ist ein biologischer Vorgang, der Beweis sozusagen für ihre wirkliche, natürliche Existenz, und ihr Einssein mit unserem gemeinsamen Schicksal, dem Prozess vom Wachsen, Älterwerden und Sterben. Und nicht anders als beim Menschen auch, ist es die Luft, die sie zum Leben erweckt und zum Blühen bringt.

Nun wissen wir ja, dass wir nicht wirklich richtige Pflanzen und Bäume und Blumen vor uns haben. Und wir wissen, dass uns diese künstliche Natur wahrscheinlich überleben wird.

Aber es ist eben genau dieser Moment der Bewegung, der uns anrührt und unsere Aufmerksamkeit weckt. Warum? Weil wir nicht erwarten, dass sich künstlich und künstlerisch hergestellte Körper bewegen. Und weil wir von ihrer Rhythmik und Schwingung überrascht werden. Vor allem dann, wenn dieses Atmen auch noch mit Geräuschen verbunden ist.

Denn um wie vieles spannender werden Objekte, sobald sie sich in Bewegung setzen: all die sich plötzlich verselbständigenden Maschinen, Spielzeuge und Roboter. Als ob dieser Vorgang sie mit uns solidarisiert, und als ob sie damit dem richtigen Leben nahe kommen könnten.

Wir kennen sie aus unserer Kindheit, wenn wir unsere blechernen Spielfiguren und Autos aufgezogen haben, und unsere Puppen anfangen, wirklich zu sprechen und zu weinen.

Vor dem Hintergrund all dieser Erinnerungen wird die Künstlichkeit der anderen Natur sympathisch und wir suchen ihre Nähe, werden neugierig, lauschen und beobachten wohlwollend: das sinnlich erotische Auf und Ab der luftgefüllten Körper...

Ihr sanftes nach oben Schweben und ihr mattes in sich Zusammenfallen.

Und am Ende erkennen wir in all den abstrahierten Blüten und Stämmen und Stängeln einen surrealen Ort der Fantasie, so als hätten die beiden Künstler die Kulisse für eine Märchenwelt geschaffen und allen leblosen Farbhüllen darin ihren eigenen, menschlichen Atem eingehaucht und sie so zu prallem Leben erweckt.

Trotz aller Künstlichkeit und Surrealität zieht uns diese andere Naturwelt des Künstlerpaares Bürkle/Illi magisch an. Sie hat etwas aufbauendes, appelliert an längst vergessene Erinnerungen, und verwandelt jeden rationalen und klar gegliederten Architekturraum in einen positiv gestimmten Ort der kreativen Anregung und Inspiration. Die Leichtigkeit und Selbstgenügsamkeit ihrer autonomen Akteure lädt ein zum Lustwandeln und stillen Genuss, und jeder Passant genießt den Luxus der ungewohnt phantasievollen Umgebung.

Und man empfindet es auch als Luxus, selbst ein Teil dieser Phantasiewelt sein zu dürfen und empfindet Sympathie für unsere gemächlich sich auf und ab bewegenden Begleiter – vom ersten Moment an, wo wir die Ausstellungsfläche betreten.

Wir wissen, dass diese Orte unserer Sehnsüchte und Fantasien immer die geistigen Rückzugsgebiete aus unserer Realität waren und sind. Sie haben eigentlich nie mit der Wirklichkeit zu tun…

Unsere inneren Sehnsüchte basieren auf der immer existierenden Suche nach … Harmonie, nach dem Paradies. Wohl wissend, dass es dieses Paradies nie gab und nie geben wird.

Die Künstler jedoch haben sich immer mit dem Sichtbarmachen und der Vergegenwärtigung von solchen Orten beschäftigt. Und sie haben immer versucht, solche Orte zu schaffen.

Heute haben wir einen solchen Ort vor uns.

 

© Dr. Gabriele Holthuis, Museum Ulm