"Atmen und Wachsen", EnBW Karlsruhe, Germany
2008
Ob ein bisschen Magie weiterhilft?
Kein Aufenthalt unter schwebenden Lasten...
Farbe – Raum – Bewegung.
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Atmen und Wachsen. Skulpturen aus Luft und Energie“ Im Foyer der EnBW am 1. Juni 2008
Im Wettstreit um Einzigartigkeit und Popularität sind die deutschen Städte in den letzten Jahren bestrebt, ihre Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten und werbewirksam zu formulieren. In Karlsruhe führte die Diskussion – entsprechend der historischen Entwicklung der Stadt – rasch zu Schlagworten wie Kunst, Natur und Technik. Doch der Begriff Technik findet bei Marketingstrategen wenig Gegenliebe: Die Assoziationen, die er weckt, sind zu rational, zu wenig sinnlich.
Dass Technik durchaus mit Sinnlichkeit verbunden sein kann, belegen gerade die pneumatischen Plastiken von Bettina Bürkle und Klaus Illi, wie wir sie hier in der Ausstellung sehen. Doch es werden wohl auch zunächst die technischen Komponenten sein, die die Mitarbeiter hier im Haus beschäftigen werden. Bereits während des Aufbaues war zu beobachten, wie diese heitere, verspielte, anspielungsreiche und tiefgründige Skulpturengruppe vorbeieilende Betrachter schlicht erfreute und ihnen ein Schmunzeln entlockte – oder sie zum Stehenbleiben, Beobachten und Nachdenken anregte.
Es ist eine Choreografie intensiver Farben in Grünvaleurs, leuchtendem Gelb, strahlendem Rot und lichtem Blau, erzeugt von steigenden, schwellenden und absinkenden Säulen und Ballons, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zieht und diesen einlädt, zwischen den unterschiedlichen Gebilden der Installation hindurch zu flanieren und diesen geheimnisvollen Garten zu ergründen.
Die Werkgruppe, die Bürkle und Illi hier im Foyer der EnBW unter dem Titel „Atmen und Wachsen. Skulpturen aus Luft und Energie“ zusammenführen, passt nicht nur inhaltlich, sondern auch formal hervorragend in diesen, in seiner Ausprägung und Einrichtung ruhigen, sachlichen Raum. Die umfangreiche Installation hat zwei „Ableger“ – einen direkt am Wasser, der andere im Dialog mit dem natürlichen Grün des Innenhofs. Sie besteht aus zeichenhaft reduzierten Formen, denen in voller Größe monumentale Wirkung zukommt. Zuweilen ragen sie hier im offenen, zweigeschossigen Eingangsbereich auch in das darüberliegende Stockwerk.
Das Ensemble besteht aus unterschiedlichen Elementen: Das sind zum einen aufstrebende Säulen, die zu hohen Gebilden aufwachsen. Sie erinnern tatsächlich an Pflanzenstengel – wie urzeitliche Schachtelhalmgewächse. Doch sie sind formal abstrahiert und tragen keinerlei Blattwerk. Stattdessen könnte man sie sich unendlich verlängert vorstellen. Ihre intensiven Grüntöne verweisen ebenfalls auf die Natur als Vorbild. Hinzu kommen ebenfalls auf dem Boden stehende, leuchtend rote Früchte oder Samenkapseln und Fruchtformen, die von der Decke herabhängen.
Der Titel der Ausstellung „Atmen und Wachsen. Skulpturen aus Luft und Energie“ aber auch die Titel von früheren Werkgruppen wie „Der fremde Garten“, „Frühlingserwachen“, „Atmender Feuerbaum“ oder „Echo und Narziss“ weisen den Weg zur Deutung der Skulpturen und bestätigen, was der Betrachter bereits angesichts der reduzierten, abstrahierten Gebilde und der durchaus naturnahen Farben vermutete. Er stellt auch gleich das Wesensmerkmal dieser Kunstwerke in den Focus, die sich durch eine einzigartige Choreografie von Senken und Erheben von Anschwellen und Erschlaffen auszeichnen. Frühere Präsentationen waren so angelegt, dass sich alle Elemente in „Ruhe“ befanden und erst der sich nähernde Betrachter über einen Bewegungsmelder die schlummernden Formen zu Leben erweckte. Hier im Foyer der EnBW sind sie so programmiert, dass sie sich permanent in vorgegebenen Rhythmen bewegen. Ungeachtet dessen wird der Betrachter auch hier Teil der Arbeit, wenn er zwischen den Säulen hindurchgeht und der Luftzug, den er erzeugt, diese sanft zum Schwingen bringt. Damit arbeiten Bürkle und Illi nicht nur auf vielschichtige Weise mit dem Raum, dem grundlegenden bildhauerischen Gegenstand, sondern sie machen auch die Dimension der Zeit real erfahrbar. Das in der Natur vom menschlichen Auge nicht sichtbare Wachstum wird uns wie im Zeitraffer des Filmes vorgeführt – die Dimension der Zeit wird im übertragenen Sinn, im Hinblick auf Werden und Vergenen angesprochen.
Wenn es im Raum ruhig ist, kommen auch die Töne hinzu, die Musik der Installation, das Atmen der Pflanzen: erzeugt durch das Wehen des Lufthauchs, das Surren der Ventilatoren oder das Knistern des Stoffes.
Es ist nicht allein der gemeinsame Lebensraum, der diese Kunstwerke mit den Menschen verbindet und der „Atem“ der sie entstehen läßt – Einatmen und Ausatmen ist die Grundlage allen Lebens. Sie sind darüber hinaus eindeutig und sofort sichtbar sexuell konnotiert und verweisen so in mehrfacher Weise auf das Werden und Vergehen des Menschen und der Natur. Die aufwachsenden anschwellenden Plastiken stehen für den natürlichen Wachstumsprozess und symbolisieren den Kreislauf des Lebens, der sich in Tageszeiten, Jahreszeiten und Lebenszeiten spiegelt und somit auch für das Vergehen, aus dem neues Leben entsteht.
Darüber hinaus scheinen die Plastiken menschliche Charaktereigenschaften in sich aufgenommen zu haben: So hat man den Eindruck, als zierten sich die Stengel zuweilen, bis sie sinnlich-dominant zu voller Größe aufwachsen. Oder die hängende Plastik aus drei Kugeln scheint zunächst ihr prächtiges Kleid zurecht zu schütteln, ehe sie sich selbstverliebt im Kreise dreht.
Mit dieser Werkgruppe verweisen Bürkle und Illi auf einen der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, auf den rumänischen Bildhauer Brancusi und seine „Endlose Säule“, die er 1937/38 schuf. Gleichzeitig beziehen sie sich auch auf Gegenstände der Alltagskultur – auf die im wahrsten Sinne des Wortes „aufgeblasenen“, überdimensionalen Coca-Cola Flaschen, die der Werbung dienen.
Im Gegensatz zur klassischen Bildhauerei arbeiten Bürkle und Illi nicht mit dauerhaften Materialien wie Holz, Stein oder Bronze, sondern fertigen ihre ausgesprochen dreidimensionale Gebilden aus Ballonstoff, einem weichen, nicht standfesten Material. In Segmentformen geschnittenen und zusammengenäht, werden die Großformen angelegt. Im ursprünglichen Zustand liegen die Stoffsegmente turmartig übereinander oder hängen sackartig erschlafft von der Decke, bis computergesteuerte Ventilatoren diese zu Leben erwecken und sie langsam aufsteigen und anschwellen lassen. Damit ist die Luft ein weiteres wesentliches Gestaltungselement, die als Kraft von innen die Hülle gestaltet und so das Zusammenwirken von Innen- und Außenraum thematisiert. Beeindruckend ist vor allem die plastische Präsenz der hängenden Skulpturen. Sie rührt von der straffen Füllung aber auch aus dem Zustand des Hängens und der damit verbundenen Wirkung des Gewichts.
Die Ventilatoren sind so gesteuert, dass die Formen zunächst langsam und gleichmäßig Wachsen. Doch die Materialität und die Schwerkraft des Stoffes haben ihre eigenen Gesetze, so dass die Stengel auch immer wieder hüpfend aufsteigen und gelegentlich ein leichtes Vibrieren durch die Säulen geht. Diese einkalkulierten aber letztlich nicht gesteuerten Bewegungen, dieses leichte Pulsieren erfüllt die eher geometrisch rationalen Formen mit einem magischen Zauber.
Das Erschlaffen und Absinken der Formen wird von den Künstlern nicht aktiv betrieben, sondern es geschieht über den natürlichen Druckausgleich und entspricht so dem natürlichen Ausatmen. Die Stengel legen sich ziehharmonikaartig zusammen und es entstehen, je nach Ausformung der Stengel, geplante, akkurate Schichtungen oder auch ineinander gesunkene freie Gebilde.
Farbe, Raum und Bewegung sind die Grundelemente dieser einzigartigen Werkgruppe von Bettina Bürkle und Klaus Illi. Aus den Einzelchoreografien der intensiv grünen Stengel und der strahlend roten Kapseln, deren Rhythmus von Mal zu Mal wechseln kann, entsteht eine umfassende Choreografie aus in unterschiedlichen Tempi steigenden und fallenden, anschwellenden und erschlaffenden Formen. Aber Bürkle und Illi geht es nicht alleine darum Fülle, Tempo und Rhythmus darzustellen – Bedingungen, die sich etwa in der industrialisierten Gesellschaft auch negativ auf den Menschen auswirken – sondern es geht ihnen auch um das Ende: die Pause, die Erholung, die Ruhe – bevor alles zu neuem Leben erwacht.
© Dr. Brigitte Baumstark, Städtische Galerie Karlsruhe