Kunstverein Husum, Germany
2008
Eröffnung
Eröffnung
Nordfriesland Museum, Nissenhaus, Husum
Eröffnungsrede Dr. Uwe Haupenthal, Husum
Der erste Eindruck beim Betreten eines Raumes, in dem Bettina Bürkle und Klaus Illi ihre in den Maßen oft riesigen, bis zu zehn Meter hohen pneumatischen Objekte arrangieren, verbindet das Moment des Überraschenden mit einer suggestiven Wirkung. Formen in reinen Farben, mitunter auch in Kombination, bestimmen den Raum ebenso wie sie ihn in seiner Struktur sichtbar machen. Und dieses zuvorderst, indem die skulpturale Statik zugunsten einer Bewegung aufgehoben wurde. Will heißen: Die aus hauchdünnem Stoff gefertigten Formen werden von innen her aufgeblasen. Sie entfalten sich entlang eines kaum sichtbaren Führungsstabes oder einer transparenten Schnur, richten sich auf, bis zum Zustand des Prallen erreicht haben, um anschließend zu erschlaffen und um, vermittels der Schwerkraft, in ihre Ausgangslage zurück zu kehren. Computergestützte Steuerungen ermöglichen gleichzeitig unterschiedliche plastische Zustände, so dass die Installation als Ganzes den Eindruck ständiger, eher zufälliger Bewegung vermittelt.
Statisch Schweres, tektonisch Lastendes wie die Vorstellung einer in ihrem Bestand unveränderlichen Form erscheinen indes aufgehoben, zumal die Objekte nur auf dünne Stützen montiert wurden und sie sich keineswegs an der Körpergröße des Betrachters, und damit an seinem plastischen Empfinden orientieren, sondern vielmehr auf die Dimension des Raumes als vorgegebene lichte Größe Bezug nehmen. Das Husumer neue Rathaus bietet in diesem Zusammenhang geradezu ideale Bedingungen. Haben doch die Architekten Patschan, Werner und Winking 1989 im Inneren des Gebäudes eine zentrale, stirnseitig zum Hafen hin wie im Dachbereich verglaste, weiß gehaltene Halle geschaffen, deren transparent anmutender Wandaufriss in unmittelbarer strukturaler Verbindung zum Außenraum steht und die so eine Atmosphäre ganzheitlicher Leichtigkeit erzeugt. Bettina Bürkles und Klaus Illi’s farbintensive Installation kann sich demnach vor Ort in einem natürlichen Licht entfalten. Mehr noch: Indem sie sich in der zentrierenden Halle des Rathauses ausbreiten und wohl niemand ihrer einnehmenden Wirkung zu entgehen vermag, berühren sie mit verhaltener, spielerisch vorgetragener Leichtigkeit, die Funktionsabläufe innerhalb des Gebäudes. Eine poetische Anwandlung, deren Wirkung um so nachhaltiger ist, je selbstbezogener sie konzipiert und vorgetragen wurde.
In diesem Sinne beschreibt die Installation eine plastisch wie farblich eigenwertige, letztendlich kosmische Struktur. Und deren Autonomie wiedersetzt sich von vorn herein jeglicher dienenden und folglich nachgeordneten Funktion. Niemand rede daher von einer zwar ansprechenden, gleichwohl dekorativen Wirkung. Gerade weil die Installation aber auf konzeptioneller Eigenwertigkeit besteht, sie sich womöglich in keiner kompositorisch eindeutigen und daher gesicherten Relation zu der sie umgebenden Architektur befindet, sie offenbar den Gesetzen der Entropie verpflichtet ist und sich daher, zumindest theoretisch, in einem Zustand prinzipiell beliebiger Erweiterbarkeit befindet, entfaltet sie ein Höchstmaß an visueller Präsenz. Architektur und Installation sind folglich gleichwertige Systeme, die sui generis offenbar nichts von einander wissen, sich jedoch auf einer Metaebene begegnen, die sich gerade deswegen einerseits begrifflich abgrenzen und andererseits als etwas Besonderes wahrnehmen. Keine Frage: Die Architektur steigert die Wirkung der Installation in einem erheblichen Maße und diese öffnet den Blick für das Gebäude.
Ein beglückender, weil aussöhnender Moment, der eine gänzlich zwanglos inszenierte, zugleich jedoch originär begründete Vorstellung des „Schönen“ preis gibt. Nicht nur, dass wir die Formen und Farben der Installation als angenehm und anregend wahrnehmen. Wir übertragen diese Vorstellung selbstredend auch auf die Architektur des Rathauses und empfinden die daraus resultierende ästhetische Koinzidenz (das Zusammentreffen) als eine öffentlichkeitstauglichen Glücksfall, der zudem eine höhere Verbindlichkeit beanspruchen kann, ohne dass wir zu der Frage neigen, ob dieses künstlerische Zusammentreffen denn wohl jedem gefallen werde. Es tut es und wird dadurch zu einer nicht länger zu hinterfragenden Konfiguration des Seins schlechthin. Ein freudiger Zustand jenseits subjektiver Beliebigkeit, der den Blick auf die realen Widrigkeiten unseres Lebens keineswegs unmöglich macht, sondern der vielmehr den Abgrund zwischen dem Idealen als dem Übergeordnet-Verbindlichen und den Unwägbarkeiten des Wirklichen zu schließen vermag.
Was aber ist schön? - Meine Damen und Herren, gestehen wir uns ein, dass sich zwischen dem Phänomen des Schönen und der Kunst ein Bereich der äußersten Beliebigkeit auftut, der nicht zu leicht zu überwinden ist, da er nicht in eine feste und verbindliche Begrifflichkeit zu fassen ist. Schönheit lässt sich schlichtweg nicht in Topoi oder Formeln pressen. Sie kann nur erlebt werden. Um so bedeutungsvoller indes, dass Immanuel Kant das Geschmacksurteil, d.h. das aus der Erscheinung herausgesehene und nach außen getragene Schönfinden, zuvorderst aus dem Naturschönen und nicht aus dem Kunstwerk ableitete. Und weiterhin erkannte er im künstlerischen Genie als demjenigen, der das gängige Geschmacksurteil überwindet, eine der Natur vergleichbare Kraft und nannte es „einen Günstling der Natur“, der künstlerisch Herausragendes schafft, ohne bloß überkommenen Regeln zu folgen.
Bettina Bürkle und Klaus Illi beziehen sich in dieser Installation freilich nicht nur auf einen allgemeinen, kommunikationstauglichen Schönheitsbegriff, sondern sie stellen gerade mit dieser Arbeit eine unmittelbare, zugleich übergeordnete, allgemeine, generative und daher keineswegs lediglich illustrierende Relation zur Natur her. Die zahlreichen Objekte erinnern in Form und Farbe an Pflanzen, die Installation als Ganzes folglich an einen Park oder einen Pflanzengarten, in dem man allein oder in Gruppen, mithin in aller Öffentlichkeit, spaziert und sich an einzelnen Pflanzenformen, an bestimmten Gruppen oder aber, von bestimmten Blickpunkten aus, an der in der Totalität dieses „Gartens“ erfreut.
Wie gelingt es beiden Künstlern jedoch, jenseits koloristischer Ähnlichkeit eine begriffliche Relation zwischen den Pflanzen und ihren, letztendlich freien Formen herzustellen? Zumindest eine der zentralen Wurzeln findet sich zweifelsohne in den für die Kunst des 20. Jahrhunderts so überaus bedeutungsvollen Fotografien Karl Blossfeldts, dessen Detailvergrößerungen von Pflanzen, respektive bestimmter Details, eine strukturale Gleichheit zwischen freier Form und Natur offen legten. Heute wird uns diese Relation im Übrigen in zahlreichen, perfekt ausgeleuchteten Naturfilmen nahe gebracht, so dass wir alle nicht nur über den gleichen Kenntnisstand verfügen, sondern auch über eine ähnlich gelagerte emotionale rezeptive Ebene.
Meine Damen und Herren, eine einfache ästhetisch rechtfertigende Gleichsetzung zwischen Natur und Kunst wäre an dieser Stelle allzu vordergründig und würde zwangsläufig ins Leere laufen. Das Thema des Pflanzengartens ist eben zunächst nichts anderes als ein Motiv unter beliebig vielen anderen. Naturerfahrung kann nicht unreflektiert mit Kunst gleichgesetzt werden. Worum es jedoch in der eben vorgebrachten ästhetischen Relation ging, war nichts anderes als eine konzeptionelle Argumentation. Dass Bettina Bürkle und Klaus Illi am Beginn des 21. Jahrhunderts in ihrer inszenierten plastischen Naturerfahrung nicht länger auf überkommene, im Barock wie im Klassizismus entwickelte semiotische Muster setzen und dabei keineswegs dem Geniebegriff des 18. und 19. Jahrhunderts verpflichtet sind, sondern statt dessen auf einen autonomen Kunstbegriff abheben, versteht sich beinahe von selbst. Gleichwohl sind die daraus abzuleitenden Implikationen für ihre Installation gewichtig. Haben doch auch sie die vormals geforderte, normbrechende ästhetische Durchschlagskraft auf eine prinzipiell vom Betrachter unabhängige Form übertragen, freilich ohne dass es dabei zu einem Substanzverlust gekommen ist. Und mehr noch: Die kinetische Anlage vermag die plastische Präsenz noch einmal zu steigern, indem sie auf unmittelbare Weise deren Substanz einer permanenten Veränderung unterzieht. Bettina Bürkle und Klaus Illi setzen Kinetik gar mit einer allgemeinen Vorstellung von Leben gleich. Die Pflanzenformen heben und senken sich, sie bauen sich auf und fallen wiederum in sich zusammen, wobei sie nicht länger nur ihre Position verändern, sondern plastische Bewegung vielmehr aus dem Massevolumen heraus ableiten. Auf diese Weise entsteht die poetische Vorstellung des „Pflanzenatems“ und damit diejenige einer substanziellen Verlebendigung der Materie im realen Raum. Dies geschieht vermittels Luft, mithin auf eine ätherische Weise. Bedingt die kinetisch begründete plastische Veränderung auch eine zyklische Bewegung, so wird doch auch die Wiederholung des Ewig-Gleichen vermieden, indem die Programmierung der Steuerung stets andere Konstellationen erzeugt. Ein fortgesetztes Spiel mit Formen, das, zumindest von der Idee her, nie zu einem Ende kommen wird.
Die Installation des Pflanzengartens besitzt demnach ebenso eine geradezu zwingende, reale Ebene wie sie eine breit angelegte ikonographische bzw. bildkünstlerische Vernetzung aufweist. Diese kann an dieser Stelle allenfalls angesprochen, jedoch nicht eingehender erörtert werden. Man denke nur an den Garten Eden, an das griechische Arkadien und Ovids Mythos von Narziss und Echo, an den Rosengarten Mariens, an Poussin oder an Goethes Metamorphosenlehre, an Carl Wilhelm Kolbes romantische Zeichnungen und Radierungen oder aber, im 20. Jahrhundert und sicherlich etwas bekannter, an die Urwaldbilder des Zöllners Rousseaus oder an die surreale Bildwelten von Max Ernst. Diese Liste bietet den notwendigen konzeptionellen Rückhalt und ließe sich beinahe beliebig fortsetzen.
Was hingegen in diesem Zusammenhang weit mehr zählt, sind die konkreten rezeptiven Bedingungen. Lassen doch gerade sie den angerissenen Bildkosmos und seine Bedeutungsebenen lebendig werden, freilich, ohne dass es im Schaffen von Bettina Bürkle und Klaus Illi zu einer gewollten oder gar erzwungenen Nähe kommen muss. Auch dieses im Übrigen eine besondere Qualität dieser Installation.
Beglückende Schönheit wird aus konkreter Naturerfahrung abgeleitet, wobei sie jedoch nicht länger auf eine von außen herangetragene ästhetische Verbindlichkeit verpflichtet wird, wie dieses etwa im Klassizismus in Bezug auf die Antike der Fall war. Vielmehr wird sie aus sich selbst, d.h. aus künstlerischer Wirkmächtigkeit heraus definiert. Es entwickelt sich ein Spiel aus Formen und Farben, das indes beim Betrachter Neugierde und, daraus resultierend, ein adäquates aktives Handeln voraussetzt, indem er sich zwischen den Formen bewegt und sich die Wirklichkeit des Kunstwerkes mental aneignet. Daher sind auch wir angehalten, uns dem idealistischen Geniebegriff zumindest anzunähern. Der Autonomiestatus der Installation setzt dieses geradezu zwingend voraus. Es beginnt das disziplinierte wie disziplinierende Spiel mit der sinnlich begründeten Einbildungskraft, das uns ebenso neue Sichtweisen und Erfahrungsebenen öffnet wie es uns selbstredend Grenzen setzt, nicht zuletzt, um eine sinnvolle Kommunikation zu ermöglichen.
Unversehens mutiert der Pflanzengarten Bettina Bürkles und Klaus Illi’s zu einem lebendigen Kosmos, dessen atmende Nähe wie dessen Schönheit uns gefangen nimmt. Doch vergessen wir nicht die Inschrift aus Poussins berühmtem Bild „Et in arcadia ego“ – „Auch ich bin in Arkadien“. Gemeint ist der Tod als finale Größe. Unserem Gang wächst darin unversehens eine existenzielle Bedeutungsebene zu, die wohl ebenso erschrecken mag wie sie uns in der zeitlichen Begrenzung unseres Lebens menschliche Nähe und Intensität sichert.
© Uwe Haupenthal